Nach 30 Jahren im Deutschen Bundestag hat Bundesminister a.D. Christian Schmidt am Donnerstag, den 24. Juni 2021, seine letzte Rede als Abgeordneter im Deutschen Bundestag gehalten. Er sprach im Rahmen der Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 24. und 25. Juni 2021.
Herr Präsident (Schäuble)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
mein Europa ist ein Europa mit Grenzen, die nicht trennen.
Mein Europa ist ein Europa vieler.
Vieler Menschen. Vieler Länder.
Mein Europa steht für Vielfalt, für Frieden, für Demokratie.
PAUSE
Helmut Kohl hat mit Blick auf die europäische und deutsche Geschichte immer gemahnt: „Vergesst die Kleinen nicht!“
In gewisser Weise ist das die Doktrin unserer Außen- und Europapolitik. Wir pflegen auch und gerade mit den Staaten enge Beziehungen, die nicht im Konzert der Großen mitspielen.
Meine Zukunft in Europa spielt sich in diesem Sinne keine zwei Flugstunden von hier ab.
Keine 1500 Kilometer von hier leben Menschen in einem wunderschönen Teil Europas, die davon träumen, dazu zu gehören. Zu Frieden und guten Lebenschancen. Zu Europa. Zu uns.
Am 1. August trete ich in Sarajewo das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina an. Ich danke der Bundeskanzlerin und der gesamten Bundesregierung für diese im Kontext der verstärkten Befassung mit der Situation der Länder im Westbalkan entstandenen Initiative und der Internationalen Gemeinschaft für die Übertragung dieser spannenden und herausfordernden Aufgabe.
Ich tue das mit dem festen Willen, durch klugen Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel aus den Friedensvereinbarungen von Dayton einen entschiedenen Beitrag dahingehend zu leisten, dass die Narben in der Region nicht wieder aufbrechen. Dazu ist dieses immer noch nötige Amt auch mit seinen exekutiven Möglichkeiten da.
Es gewährleistet neben der Unterstützung des Landes auf dem Weg in die EU auch die politische Präsenz der Weltgemeinschaft zuvorderst für die Sicherstellung der territorialen Integrität Bosnien-Herzegowinas.
Insbesondere unsere Freunde und Partner in Washington haben mit europäischen Staaten und der Weltgemeinschaft in Dayton 1995 so in und für Europa gehandelt, wie Präsident Biden letzte Woche in Brüssel die amerikanische Verpflichtung für die Sicherheit Europas genannt hat:
a sacred obligation, eine heilige Verpflichtung.
Gut für uns, dass die USA wieder zurück sind. Und wir Europäer werden unseren Beitrag leisten, ob im Baltikum, auf dem Balkan oder wo immer in Europa oder seiner Nachbarschaft.
Der Genozid von Srebrenica und andere monströse Kriegsverbrechen müssen im kollektiven Bewusstsein von uns allen, von uns Europäern als Mahnung gegenwärtig bleiben.
Nicht nur wegen dieser schlimmen Erfahrungen dürfen wir den Westbalkan, diese Schlüsselregion Europas, unseren südöstlichen Campus der Vielfältigkeit, nicht vergessen und müssen den Blick zu uns vernünftig aufnehmen.
Daraus entsteht für uns die Verpflichtung zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit und konstruktiver Begleitung vor allem der Länder, die noch nicht Teil der EU sind.
Der Weg dorthin ist aber so fordernd und bringt auch viele Verpflichtungen für diese Länder und ihre Gesellschaften mit sich, dass wir gut daran tun, in Sichtweite liegende Zwischenstationen zu markieren. Zwischenstationen, damit für die Bürgerinnen und Bürger Vorteile und Nutzen der EU nicht nur ein utopisches Konstrukt scheinen, sondern erfahrbar werden; Realität werden können.
Europa darf nicht stehen bleiben. Europa muss sich weiter entwickeln und muss Wege suchen, die konkrete Antworten verlangen, die erreichbar und verlässlich sind.
Ich bin der festen Überzeugung, dass die EU nur dann eine Zukunft hat, wenn wir die Gemeinsamkeiten stärken.
Die entscheidende Frage ist: Machen wir aus der Größe Europas eine Schwerfälligkeit oder doch eine Stärke Europas?!
Europa spielt in einer globalisierten Welt nur dann eine gewichtige Rolle, wenn unsere Werte in einem konzentrierten Ringen miteinander zu einer gemeinsamen politischen Agenda reifen.
Wir brauchen einen offenen Binnenmarkt, wir brauchen Solidarität in der Krise und nach der Krise, aber keine Transfer- und Schuldenunion, aber auch eine vernünftige Sicherung der europäischen Außengrenzen.
Wir alle wollen unsere Eigenständigkeit, aber das ist kein Argument gegen eine gemeinsame europäische Verfassung.
Jeder kann seine Identität pflegen, das heißt aber nicht, dass nationalistische Überheblichkeit den Ton angeben darf.
Denn das einzige Konzept für ein Leben in Wohlstand und Frieden ist die Demokratie. Davon bin ich fest überzeugt.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Frau Bundeskanzlerin (Merkel),
lieber Herr Ministerpräsident (Laschet),
Vor 31 Jahren, am 20. Dezember 1990, saß ich das erste Mal in diesem Hohen Haus;
ein Jahr nach der Wende, in einer anderen Zeit.
Helmut Kohl war Bundeskanzler, der Kanzler der Einheit, der Kanzler Europas. Hans-Dietrich Genscher sein Außenminister. Theo Waigel war mein Parteivorsitzender. Und Willy Brandt war noch Alterspräsident.
31 Jahre ist das her.
31 unglaubliche Jahre. Damals wurde deutsche Geschichte geschrieben. Die deutsche Einheit, für die ich 1981 noch vor diesem Haus mit meinen Freunden der Jungen Union demonstriert hatte, war friedlich erreicht, der 2 plus 4 Vertrag gerade auf den Weg gebracht und die Zukunft Deutschlands von anderen mitgetragen. Ohne diese vier anderen Länder und ihre Einigkeit, wären wir heute nicht da, wo wir stehen.
Ich bin dankbar. Für diese Zeit. Für unsere Demokratie. Ihnen, fast Ihnen allen für viele Freundschaften, für konstruktive Politik, für das Bestreben, die Welt ein Stück besser zu machen. Ich bin dankbar: Meinen Wählern für ihr Vertrauen, Alexander Dobrindt und der CSU-Landesgruppe, meiner politischen Heimat, für die enge Zusammenarbeit und auch meiner Fraktion mit Ralph Brinkhaus, meiner Familie für ihr Verständnis in all den Jahren.
Viele von Ihnen werde ich wieder sehen in meiner neuen Aufgabe, ob in Brüssel, Berlin oder Sarajevo. Ich freue mich darauf.
Vielen Dank!